Das rot gleißende Licht der aufsteigenden Sonne eröffnet uns den Blick auf das geweihte Land. Afrika, der Tag ist noch nicht angebrochen, doch die hiesige Welt ist bereits in Aufruhr. In großen Herden brechen die verschiedensten Tierarten, Elefanten, Giraffen, Zebras, auf, um sich unter der Begleitung des von Elton John und Tim Rice geschriebenen Circle of Life zum Königsfelsen zu begeben – der rechtmäßige Thronfolger wird präsentiert. Diese ersten fünf Minuten von Der König der Löwen, die die Vorstellungszeremonie von Simba einnimmt, sind von derart wirkungsmächtigem Glanz, Pomp und Gloria begleitet, dass es einem die Gänsehaut über den gesamten Körper treibt. Wenn es im Kino von Walt Disney jemals so etwas wie die harmonische Verschmelzung von Bombast und Grandezza gegeben hat, dann wohl in dieser denkwürdigen Exposition.
Es ist der Beginn einer sagenhaften Geschichte, an der über einen Zeitraum von ganzen vier Jahren mehr als 600 Zeichner arbeiteten. Der Aufwand, der für Der König der Löwen betrieben wurde, zeigt auf, worum es sich bei diesem Film handelt: Um eine Machtdemonstration. Ein Prestigeprojekt. Einen zukünftigen Klassiker mit Ansage. Doch was nun nach marktwirtschaftlichen Kalkül klingen mag (und bisweilen auch zutreffend ist – wir sprechen immer noch vom Mickey Mouse-Konzern), bleibt in der Umsetzung auch nach über zwanzig Jahren seiner Uraufführung ein von urgewaltiger Kraft angetriebenes Zeichentrickspektakel, dem der Unterhaltungsfaktor ebenso am Herzen liegt wie die Lebensweisheiten, die seine Handlung unterfüttert. Der kleine Löwe Simba dient hier einer allgemeingültigen Projektionsfläche, durch die der sich Der König der Löwen an den fundamentalen Stationen der menschlichen (Persönlichkeits-)Entwicklung orientiert.
Vor allem ist es nach wie vor beachtenswert, wie schnörkellos Roger Allers (Dehbuch zu Die Schöne und das Biest) und Rob Minkoff (Stuart Little) die Handlung einer dramaturgischen Straffheit unterzogen haben, die sich in keinen Moment erlaubt, den Fokus auf das Geschehen zu verlieren: Simba ist der Kristallisationspunkt, sein jugendliches Aufbegehren bringt Der König der Löwen ins Rollen und quittiert den unüberlegten Ungehorsam seiner kindlichen Verspieltheit gleich mit den Konsequenzen, die die Härte des Lebens in ihrer ganzen Wucht ausmachen: Dem Tod und der Schuld. Und beiden Aspekten wird genügend Raum zugesprochen, um sich in ihrer lähmenden Fasson zu entfalten. Darin liegt nicht zuletzt die überzeitliche Klasse dieses Filmes, denn mögen es euphorisch-musikalischen Glücksgefühle oder herbe Rückschläge sein – Der König der Löwen nimmt sich diesen Empfindungen an, anstatt sie gegeneinander auszuspielen.
Sicherlich, obgleich der Film in seiner Vorstellung von Heldenmut, Herrschaftsanspruch und Geburtsrecht durchaus rückständig erscheinen mag, bleibt er doch eine ungemein intensive und von einem majestätischen Gestaltungswillen beseelte Parabel auf das Leben, die Zugehörigkeit und die Suche nach der eigenen Bestimmung. Der König der Löwen gibt seinem Hauptdarsteller die Chance, zu scheitern, um sich im Zuge dessen darauf zu besinnen, was ihm wirklich wichtig ist; wohin er wirklich gehört. Und daraus ergibt sich eine in eindrucksvollem Eskapismus, hinreißender Komik und Shakespeare'scher Tragik gehaltene Lektion über die Gesetzmäßigkeiten unserer Existenz: Auch wenn der ewige Kreis, der unser Dasein umzirkelt, keine Aussetzer erlaubt, so ist es doch letzten Endes uns überlassen, wie wir den Anfang zum Ende und das Ende zum Anfang machen.